Die meist gestellten Leserfragen am Expertentelefon „KOPFSCHMERZEN BEI JUGENDLICHEN“ am 01.09.2016
Seit unser ältester Sohn regelmäßig am Computer spielt, klagt er morgens häufiger über Kopfschmerzen. Welchen Zusammenhang kann es da geben? Ist vielleicht ein Besuch beim Augenarzt ratsam?
Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers, Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie und Neurologische Intensivmedizin, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge: Ein Zusammenhang zwischen übermäßigem Computerspielen und Kopfschmerzen besteht indirekt: Die Jugendlichen bewegen sich nicht mehr, machen keinen Sport und stehen eventuell unter starkem Druck. Hier sollte man eingreifen und für Ausgleich sorgen. Einen Grund, zum Augenarzt zu gehen gibt es nur, wenn sich auch in anderen Situationen Hinweise auf eine Fehlsichtigkeit finden lassen.
Früher hat unsere Tochter mal von Bauchschmerzen gesprochen, doch in letzter Zeit legt sie sich häufiger nach der Schule mit Kopfschmerzen hin. Kann das auch Migräne sein? Wie lässt sich das unterscheiden? Muss das nicht unterschiedlich behandelt werden?
Prof. Dr. med. Stefan Evers: Es ist typisch, dass Kinder mit einer Veranlagung für Migräne in den ersten Jahren mehr über Bauchschmerzen klagen und dann zu Kopfschmerzen wechseln. Gerade dass Kinder sich mit Kopf- oder Bauchschmerzen nach der Schule hinlegen, spricht sehr für die Diagnose einer Migräne. Wenn das Zeitmuster stimmt (d.h. mehrmals im Monat, jeweils einige Stunden Dauer) und wenn keine anderen Krankheiten vorliegen, nennt man auch diese Bauchschmerzen Migräne. Sie müssen nicht anders behandelt werden als die „eigentliche“ Migräne. Allerdings sollten „normale“ Kopfschmerzen (auch Spannungskopfschmerz genannt), anders als Migräne behandelt werden. Hier genügt häufig schon eine Kühlung der Schläfen, möglicherweise kann auch Pfefferminzöl eingesetzt werden.
Am Freitag und Samstag zieht meine Tochter (17) mit ihren Freundinnen in die Disco. Sonntags ist sie dann zu nichts zu gebrauchen. Sie verlangt nur nach Kopfschmerztabletten und bleibt den ganzen Tag im Bett. Ich nehme an, dass die laute Musik, das Flackerlicht, vielleicht Alkohol und das später Schlafen, ihr nicht gut tun. Aber wenn ich sie anspreche, blockt sie total ab.
Prof. Dr. med. Stefan Evers: Vielleicht gelingt es ja mal in einer ruhigen Minute, Ihrer Tochter die Zusammenhänge zu erläutern. Unregelmäßiger Schlaf und vor allem langes Ausschlafen am Wochenende fördern das Auftreten von Migräneattacken und auch von anderen Kopfschmerzen. Auch Alkohol trägt dazu bei. Sie muss nicht auf das Feiern am Wochenende verzichten, könnte aber vielleicht etwas weniger Alkohol trinken und am Sonntag doch aufstehen, um etwas leichten Sport zu machen.
Seit er in der Pubertät ist, ist unser Sohn ziemlich in sich gekehrt. Erst beim Lehrersprechtag habe ich erfahren, dass er in der Schule öfter Kopfschmerzen hat und früher nach Hause geht. Seine Leistungen sind auch schon schlechter geworden. Wo kann ich mich informieren, um unserem Kind zu helfen?
Prof. Dr. med. Stefan Evers: Sie sollten mit Ihrem Sohn und mit dem zuständigen Klassenlehrer sprechen und offen mit der Situation umgehen. Wiederkehrende Kopfschmerzen, insbesondere Migräne, kann man nicht „heilen“ oder von heute auf morgen abstellen. Daher sollte Ihr Sohn alles tun, um die Kopfschmerzen zu vermeiden. Tipps dazu erhalten Sie auf der Web-Seite www.initiative-schmerzlos.de. Falls doch Kopfschmerzen in der Schule auftreten, sollte Ihr Sohn die Möglichkeit haben, sich kurz zurückziehen zu dürfen, um ein geeignetes Akutmedikament einzunehmen. Die meisten Lehrer und Schüler haben dafür viel Verständnis.
Weil ich selbst schon als Teenager Migräne hatte, habe ich Angst, dass unsere Tochter (15) auch eine bekommt. Sie hat in letzter Zeit häufiger Kopfschmerzen, die bei Bewegung schlimmer werden. Soll ich mit ihr zum Neurologen gehen? Wie können wir verhindern, dass sie eine Migräne entwickelt?
Dr. med. Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie und Psychotherapie mit einer eigenen Praxis in Essen: Die Angst kann ich sehr gut nachvollziehen. Am besten ist es, wenn Ihre Tochter ein Tagebuch führt, ihre Kopfschmerzen dort dokumentiert und sich dann nach acht Wochen bei einem Neurologen vorstellt. Sie können natürlich nie verhindern, dass eine Migräne entsteht. Aber Sie können sicher sein, dass mit einer genauen Diagnose und einem fundierten Behandlungsvorschlag das Leben Ihrer Tochter durch die Migräne nicht zu sehr beeinflusst werden kann.
Wenn unser Sohn Kopfschmerzen hat, habe ich ihm bislang immer eine Schmerztablette gegeben. Aber in letzter Zeit kommt mir das etwas zu oft vor. Wie oft ist wirklich zu oft und gibt es Möglichkeiten, Kopfschmerzen ohne Medikamente vorzubeugen?
Dr. med. Astrid Gendolla: Natürlich spielt der Lebensstil eine Rolle in der Auslösung von Kopfschmerzen. Ich würde den Jungen ermuntern, auf geregelte Schlafzeiten zu achten, ausreichend kalorienarme und zuckerfreie Getränke zu trinken und digitale Auszeiten einzuhalten. Ein Beispiel wäre, das Handy nachts auf Flugmodus zu stellen. Ausreichend Sport und Bewegung an frischer Luft sind gerade in der Pubertät wichtig. Von Alkohol und Zigaretten sollte er nach Möglichkeit die Hände lassen.
Seit meine Tochter ihre Periode bekommen hat, klagt sie häufiger über Kopfschmerzen. Unsere Hausärztin meint, da könne die Pille Abhilfe schaffen. Aber ist das wirklich sinnvoll? Meine Tochter hat ja nicht einmal einen Freund…
Dr. med. Astrid Gendolla:
Ich rate dringend davon ab, eine Pille einzusetzen, wenn nicht einmal der „Bedarf“ besteht. Oft werden Kopfschmerzen durch hormonelle Antikonzeption auch noch verstärkt. Um Kopfschmerzen während der Periode zu mildern, ist es – wie auch sonst – sinnvoll, ausreichend Wasser zu trinken. Auch eine Zufuhr von Mineralstoffen wie Magnesium ist wichtig. Dies kann zusätzlich in gerade dieser Zeit auch zur Vermeidung von Krämpfen hilfreich sein.
Weil mein Junge hin und wieder Kopfschmerzen bekommt, hat uns eine Homöopatin glutenfreie Ernährung empfohlen. Hat die Ernährung wirklich Einfluss auf die Entstehung von Schmerz? Gibt es womöglich weitere Nahrungsmittel, die er meiden sollte?
Dr. med. Astrid Gendolla: Studien zeigen, dass zum Beispiel Glutamat Kopfschmerzen auslösen kann. Offen gesagt halte ich aber jede Form von Diät im Jugendalter für verboten. Ein Jugendlicher sollte lernen, sein Augenmerk darauf zu richten, was Kopfschmerzen auslöst. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Mahlzeiten sind völlig ausreichend. Hände weg von zuckerhaltigen Limos und dergleichen. Alles andere verstärkt die Chronifizierung meines Erachtens nur.
Bei unserer Tochter wurden Spannungskopfschmerzen diagnostiziert. Nun soll sie regelmäßig Übungen machen und Ausdauersport treiben. Doch wir sind uns nicht ganz sicher, was da wirklich sinnvoll ist. Haben Sie eine Empfehlung?
Dr. med. Raymund Pothmann, Facharzt für Neuropädiatrie, Spezielle Schmerztherapie und Systemische Psychotherapie sowie Leiter des Zentrums für Integrative Kinderschmerztherapie und Palliativmedizin in Hamburg: Wenn die Diagnose stimmt, sind Entspannung und Bewegung in der Tat gut geeignet. Bereits eine fünfminütige Übung aus der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson täglich stimmt den Körper in Richtung von weniger Spannungskopfschmerzen um. Das Gleiche gilt für ausdauersportliche Bewegung.
Meine Tochter ist 13. Wenn sie bei ihrer Klassenlehrerin Unterricht hatte, kommt sie immer total fertig aus der Schule. Sie will nicht essen, empfindet Übelkeit und Druck im Kopf. Unser Hausarzt meint, das sei psychisch und ginge vorbei. Soll ich tatenlos abwarten? Ein Gespräch mit der Lehrerin hat nichts gebracht.
Dr. med. Raymund Pothmann: Ein psychischer Zusammenhang drängt sich in der Tat auf. Abwarten ist allerdings nicht die Empfehlung der Wahl. Manchmal kann ein an der Schule tätiger Schulpsychologe weiterhelfen. Ansonsten ist psychologischer Rat außerhalb der Schule anzustreben. Ein Kontakt mit Eltern von Mitschülerinnen hilft manchmal schon im Vorfeld, um die Situation besser einzuschätzen zu können.
Weil unser Sohn regelmäßig unter Kopfschmerzen leidet, kann er beim Sport oft nicht mitmachen und wird schon von den Mitschülern gemobbt. Unser Hausarzt will nun den Auslösern auf den Grund gehen. Statt ihm Medikamente zu verordnen, hat er empfohlen, ein Schmerztagebuch zu führen. Was kann das bringen?
Dr. med. Raymund Pothmann: Ein Kopfschmerztagebuch ist die Basis für jede Kopfschmerztherapie. Individuelle Belastungsfaktoren sind darin aber nicht alleine auszumachen. Hier helfen eine ausführliche Erhebung der Umgebungsbedingungen und eine körperlich-kinderneurologische Untersuchung. Dabei lassen sich Hinweise für das Verständnis und die Überwindung der Kopfschmerzen gewinnen.
Schon öfter ist unsere Tochter (15) morgens nicht in die Berufsschule gegangen, weil sie es angeblich vor Kopfschmerzen nicht ausgehalten hat. Statt sich wieder hinzulegen, spielt sie dann am Handy und sagt, das beruhige sie. Macht sie uns und den Lehrern nur etwas vor?
Dr. med. Raymund Pothmann: Hier ist erzieherische Konsequenz gefragt. Der Handygebrauch ist therapeutisch nicht nützlich. Das käme einer Belohnung für Kopfschmerzen und Schulausfall gleich. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie etwas vormacht. Zu klären ist in jedem Fall, ob es in der Schule belastende Situationen gibt, die sie (unbewusst) vermeidet. Ansonsten muss dem Mädchen die Verantwortung für ihre eigenen Kopfschmerzen klar gemacht werden.